KARDINAL KARL LEHMANN schrieb anlässlich einer Ausstellung mit Werken von Friedrich Press in der Galerie der BASF Schwarzheide 1994:
Friedrich Press gilt schon lange als einer der wichtigsten Kirchengestalter im Raum der ehemaligen DDR. Nicht zuletzt die große Ausstellung, die vor drei Jahren (1991, Anm. Geisler) von Dresden bis nach München gewandert ist, hat in der Öffentlichkeit viel Beachtung gefunden und gezeigt, dass er als einer der herausragenden Vertreter der deutschen Bildhauerkunst unseres Jahrhunderts angesehen werden muss.
Wenige Jahre vor seinem Tod sagte der Künstler einmal, dass er keine Bilder modellieren, sondern immer wieder aufs neue „geistige Zeichen“ setzen möchte. Er hatte sich dieser Herausforderung selbst gestellt und ist dabei keinerlei Kompromisse eingegangen. Seine unnachahmliche künstlerische Strenge ist von tiefer Gläubigkeit durchseelt. Man erzählt sich, dass in seinem Atelier immer eine Bibel gelegen hat. Diese hat ihn stets begleitet und immer wieder neu inspiriert. Man kann dies in seinen mehr als vierzig Kircheninnenraumgestaltungen deutlich sehen. Deshalb ist es beinahe selbstverständlich, wenn neben den höchst beachtenswerten Portraits und anderen Großplastiken aus seiner Hand die christlichen Themen ihm eine immer wiederkehrende Auseinandersetzung wert waren.
Die große Zahl seiner Kirchenraumausgestaltungen rührt aus der nachkonziliaren Zeit. Der auffällige Wandel in seinem Werk, das sich nach 1960 formal immer mehr reduziert, geht mit dem vom Zweiten Vatikanischen Konzil herausgestellten neuen Kirchenbild, das die Kirche als Haus Gottes und als Haus der Gemeinde gleichermaßen versteht, einher.
Press selbst sagt zu den Möglichkeiten und Grenzen seiner Arbeit: „Ich will Christus nicht darstellen, denn ich weiß nicht, wie er aussah.“ Dass er es dennoch tat, und vor allem auch wie er diese Aufgabe umsetzte, erinnert uns an Paul Klees Wort vom Sichtbarmachen des Unsichtbaren. Die Darstellung wird manchmal bis auf eine Ahnung hin reduziert. Sie deutet nurmehr an, worum es dem Künstler geht. Diesen Hinweischarakter, der weit über das Sichtbare hinausgeht, finden wir in vielen seiner Arbeiten.
Wir haben vor wenigen Wochen den 92. Deutschen Katholikentag in Dresden gefeiert (1994 – erste Katholikentag in den neuen Bundesländern, Anm. Geisler). Insofern möchte ich hier auf ein Beispiel aus Dresdens Zentrum zurückgreifen. Wenn wir uns seine Umgestaltung der ehemaligen Nepomuk-Kapelle im Dom (Hofkirche Dresden, Anm. Geisler) des Bistums Dresden zur Gedächtniskapelle für die Opfer der Kriege und der ungerechten Gewalt vor Augen führen, so fällt als erstes der starke Kontrast zur barocken Farbenpracht und Architektur Chiaveris ins Auge. Friedrich Press gestaltete sein mahnendes Mal aus Meißener Porzellan. Hinter dem Altar, der in blockhafter Struktur mit nur wenigen flammenartigen Einkerbungen über einer vielfüßigen Basis gestaltet ist, erhebt sich bis zu viereinhalb Meter Höhe eine Pietà. Die Reduzierung der Formen in eine vertikal-horizontale Komposition, aus zwei etwa gleich großen Teilen, wobei der liegende auf dem Fuß der Senkrechten aufruht, ist in seiner Ausdruckskraft kaum zu umschreiben.
So sehr der Glanz, der vom Material ausgeht, im ersten Moment in seinem barocken Ambiente vielleicht sogar störend wirkt, so tief beeindruckt die erkennbare Figur der Mutter Maria als Bild des Menschen, auch wenn diese figürliche Darstellung nur zeichenhaft erkennbar ist. Im Sinne einer Entwicklung vom Früh- zum Spätwerk ist es nur konsequent, wenn sich die expressive Körperlichkeit zum abstrahierten Altersstil weiterentwickelt.
In Abraham Hammachers Standardwerk zur Plastik der Moderne ist das Schlußkapitel über die Bildhauerei der letzten drei Jahrzehnte mit „Raumerforschung und Raum-erweiterung“ überschrieben. Darin suchen wir erwar-tungsgemäß unseren Künstler vergebens. Und doch: mir scheint, dass auch Friedrich Press durch die vielen von ihm gestalteten Altarräume, die in ihrer Strenge und Aussage-kraft sicherlich zum Besten gehören, was wir hierzulande vorzuweisen haben, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung und Erweiterung des Raumes geleistet hat. Seine gespaltenen Kreuzesbalken, die auf die Auferstehung hinweisen, seine durch Stelen repräsentierten Apostel im Altarraum oder seine durch Ziegel, Ton, Holz etc. gestalteten (Altar-) Wände sind neue Formulierungen einer noch ungeschriebenen Grammatik, die in ihrer Ordnung Klarheit und Verständlichkeit gewinnt.
Die Kompromisslosigkeit der Werke von Friedrich Press führt jeden Betrachter auch jenseits aller religiösen oder gar konfessionellen Erkenntnisse zur Frage nach der menschlichen Existenz, zur Frage nach sich selbst. Kann man mehr von einer Kunst verlangen oder erwarten?
Press‘ Kunstwerke, die in der größtmöglichen Reduktion Zeichen für das Absolute zu setzen in der Lage sind, mögen in dieser Ausstellung (Galerie BASF Schwarzheide 1994, Anm. Geisler) möglichst vielen Besuchern Hinweise geben; Hinweise darauf, dass der Mensch nicht das Letzte ist.
(aus: Friedrich Press, Bildhauerei und Graphik. Geleitwort. Galerie BASF Schwarzheide GmbH 1994)