Meine lieben Schwestern und Brüder,
In seiner Autobiographie „Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit“ erwähnt Mahatma Gandhi die „Bergpredigt“ als eines der wichtigsten religiösen Werke, die ihn dazu inspirierten, um Indien zu befreien durch gewaltlosen Widerstand. Er schreibt: „Ich erkannte, dass die Bergpredigt die Gesamtheit des Christentums für jedermann ist, der ein friedliches, sinnvolles Leben führen will. Es ist diese Predigt, die mir Jesus ans Herz gelegt hat.“ Im Jahr 1947, als Britisch-Indien in ein hinduistisches Indien und ein muslimisches Pakistan geteilt wurde, trat Mahatma Gandhi in einen Hungerstreik, um die kommunale Gewalt zu beenden. Während dieser Zeit kam ein Hindu-Fanatiker zu ihm und gestand: „Ich werde mit Sicherheit in die Hölle kommen und niemand kann mich retten.“ Gandhi fragte den Mann, warum er glaube, dass er zur Hölle verdammt sei. Der Mann antwortete, dass er ein Hindu sei und dass ein Muslime sein Kind bei einem Aufstand getötet hat. Aus Rache habe er ein muslimisches Kind und dessen Eltern abgeschlachtet, sich aber danach sehr schuldig gefühlt. Gandhi sagte: „Ich weiß einen Weg, wie du dich vor der Hölle retten kannst. „Finde ein muslimisches Kind, das seine Eltern verloren hat, nimm es mit nach Hause, zieh es auf und erziehe es so, dass es als ein Muslim in deiner Hindu-Familie aufwächst, dann wirst du nicht in die Hölle kommen.“ Als Gandhi 1948 erschossen wurde, bestand seine letzte Geste darin, seine Handflächen aneinander zu pressen und die gefalteten Hände zum hinduistischen Zeichen der Vergebung an die Lippen zu führen. Martin Luther King war ein großer Bewunderer Gandhis. Als eine Bande von Rassenfanatikern sein Haus in Brand setzten, versammelte sich ein afroamerikanischer Mob, der sich rächen wollte. Aber er sagte ihnen: „Wenn ihr nach der Regel ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘ lebt, habt ihr am Ende eine Nation von blinden und zahnlosen Menschen.“ Dann leitete er die Versammlung zum Gebet für die Menschen, die sein Haus angezündet hatten. Genau darum geht es bei der wunderbaren Gnade der Vergebung, dem zentralen Thema des heutigen Evangeliums.
Meine lieben Schwestern und Brüder, der Abschnitt im Evangelium enthält vier Gebote Jesu: lieben, vergeben, Gutes tun und beten. Jesus hat uns nicht nur befohlen, unsere Feinde zu lieben, er hat uns auch das anschaulichste und eindrucksvollste Beispiel für diese Art der Liebe in Aktion gegeben. Während er am Kreuz hing, betete er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Eine große Kraft strahlen diese Worte aus, die von Vergebung und Gewaltlosigkeit bis heute zum Guten anspornen.
Gott ist sowohl zu den Ungerechten als auch zu den Gerechten gut. Deshalb muss unsere Liebe zu anderen, auch zu denen, die uns gegenüber undankbar und egoistisch sind, von der gleichen Güte und Barmherzigkeit geprägt sein, die Gott uns erwiesen hat. Wenn wir für diejenigen beten, die uns Unrecht tun, brechen wir die Macht des Hasses in uns und setzen die Kraft der Liebe frei. Gottes Liebe überwindet unsere Verletzungen, Ängste, Vorurteile und unseren Kummer. Nur das Kreuz Jesu Christi kann uns von der Tyrannei der Bosheit, des Hasses, der Rache und des Grolls befreien. Apostel Paulus sagt: „ Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.“ Segnet eure Verfolger, segnet sie, verflucht sie nicht. (Röm 12, 14) Vergeltet niemand Böses mit Bösen. Soweit es möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden“ (Röm. 12, 18). Paulus sagt wiederum: „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr“ (Kol.3, 13) Lasset uns um die Gnade der Vergebung für uns und für alle beten. Amen.
Pfr. Dr. Thomas Olickal Francis